Als regelmäßiger Blogger hab ich mich regelmäßig mit den je aktuellen Ausgaben der „Tangodanza“ auseinander gesetzt. Diese Tradition möchte ich auch als unregelmäßiger Schreiber wieder aufnehmen. Der Text heißt: „Gesang, Parkinson und Politik“.
Vor Jahren habe ich mal mit einem alten Milongero aus Buenos Aires (den Namen hab ich vergessen) im Netz gestritten, weil er behauptete, zu Musik mit Sängerinnen könne man nicht tanzen. Es gibt ja nach wie vor viele Skurilitäten in der Tangoszene. Diese ist mir seit langem nicht mehr begegnet. Wohl aber gibt es hierzulande Tänzer, die sich grundsätzlich nicht gern zu gesungenen Tangos bewegen. Oder sie empfehlen Anfängern instrumentale Titel. Ich mag darüber jetzt jetzt nicht streiten. Aber ich finde es versäumt etwas, wer nicht tanzen mag, wenn Ada Falcon singt oder Nina Miranda oder die exaltierte Tita Merello undundund…
Zu meinen Favoritinnen unter den Lebenden zählt Noelia Tomassi. Deshalb hat es mich sehr gefreut, dass die „Tangodanza“ die Künstlerin, die in Buenos Aires geboren wurde und in Berlin lebt, auf die Titelseite ihrer aktuellen Ausgabe genommen hat – als erste Sängerin überhaupt.
Ich bin nicht so poetisch drauf wie die Autorin des Artikels. Aber mit Susanne Lagers Beschreibung kann ich etwas anfangen:
„Eine Stimme, der man sich schwer entziehen kann: Sie entfaltet sich warm und tief über dem Mikrophon, verbindet sich authentisch mit den Musikern des Orchesters, verbreitet sich wie ein anregender Duft über die Tanzfläch, umarmt die Tänzer, steigt mit natürlicher Leichtigkeit in die Höhe und erfüllt den Saal.“
Oder einen ganzen Platz. Ich habe sie zuletzt beim Tango auf dem Berliner Breitscheidplatz gehört – mit dem Pianisten Pablo Woiz und anderen internationalen Tangocracks. Noelia tritt aber auch gern mit Korey Ireland und dem Tango Community Orchester auf, einer Formation, gemischt aus Profis und avancierten Amateuren. Als Beipiel hab ich hier dennoch eine Studioaufnahme gewählt. Da singt sie „Vida Mia“, den Signaturesong von Osvaldo Fresedo. Mit dem bin ich gerade wegen des neuen Buches von Michael Lavocah beschäftigt. Aber darüber an anderer Stelle mehr.
Am nützlichsten finde ich die in Deutschland einzige Tango-Zeitschrift, wenn sie mir die Zeit stiehlt. Ironie beiseite: wenn sie mir hilft, in den Tiefen des Internet nach Musik zu suchen und nach Musikern, von denen ich (horribile dictu) noch nie gehört habe. So habe ich mit großem Gewinn über Damian Foretic gelesen, der ein besonders spannendes Projekt verfolgt. Unter dem Titel „Tangos sin arreglos“ trifft er sich immer wieder im Lokal „Pista Urbana“ in Buenos Aires mit jeweils vier renommierten Musikern, die normalerweise nicht zusammen spielen, zum gemeinsamen Improvizieren. (Zum Beispiel: „Ciclo „tangos sin Arreglo“// l pollo Ricardo // Nicolas LEDESMA. Damian Foretic). Mit seinem festen Ensemble „Septeto Eleganta Sport“ gehört er 2024 auch zum Line up des „Locura“-Festivals Anfang Mai in Insbruck, das alle Jahre wieder mit Live-Musik erfreut.
Aber es macht auch Spaß, aus durchaus traurigem Anlass nach Videos von historischen Größen der Szene zu suchen – zum Beispiel nach Hector Mayoral, der Ende Januar 2024 mit 86 Jahren gestorben ist. Ihm verdanken wir legendäe Shows wie „Tango Argentino“ und „Forever Tango“. Wer mag, kann sich seiner auch als Tänzer erinnern, zumal mit seine Ehefrau Elsa, die einige Jahre vor ihm gegangen ist.
Die Berichte über das Tangoleben in verschiedenen Städten zählen zu den Standards in der „Tangodanza“ und sind sicher wichtig für die Community, aber vor allem in den entsprechenden Gegenden. Ich habe sie schon früher meist schnell überblättert. Da greifen Podcasts weiter aus, die auch in unserer Szene immer mehr in Mode kommen. Einen davon betreibt Heinz Duschanek aus Wien: „www.Cabeceo.at“. Darin wird etwa eine Stunde lang über die tangoüblichen Themen von Technik über Sinnlichkeit bis Sozialverhalten geplaudert.
Mit derlei Produktionen habe ich ein grundsätzliches Problem: Meine Ungeduld. Der ideale „Podcast“ ist für mich immer noch das gute alte „Zeitzeichen“ des WDR. Das gab es schon Jahrzehnte, bevor der neumodische Begriff geprägt wurde. Es handelt sich um eine sorgfältig recherchierte und gebaute Radiosendung von rund 15 Minuten.
Mit besonderem Interesse habe ich in dieser Ausgabe einen Artikel über ein Thema gelesen, das in den Medien immer öfter vorkommt und mich selbst betrifft. Arndt Büssing hat über „Tango & Parkinsonerkrankte“ geschrieben. Er ist Professor für „Lebensqualität, Spiritualität und Coping“ an der Universität Witten/Herdecke und mir aus früheren Jahren als Rezensent von CDs mit nicht alltäglicher Tangomusik bekannt.
Der Text ist, ich sag mal, eher uneuphorisch gehalten. Bei ihm ist der Tango kein Allheilmittel, als das er in der Szene so oft herhalten muss. Arndt hat die wissenschaftliche Literatur zum Thema ausgewertet und forscht selber über die Auswirkungen von Tango auf Parkinson im Vergleich zu Tai Chi. So berichtet er von einer Studie, die abgebrochen wurde, weil in der Tango-Gruppe „sogar ein Trend zu einer Verschlechterung der Mobilität und der täglichen Aktivitäten“ auftrat.
Der Autor warnt vor allzu hohen Erwartungen an spezielle Tango-Kurse für Parkison-Patienten, die nicht immer halten könnten, was versprochen werde. Aber er hebt auch hevor:
„Gerade die soziale Komponente des gemeinsamen Tanzens und die Rücksicht aufeinander erleichtert die soziale Inklusion von Menschen, die sich aufgrund ihrer Beeinträchtigung aus Scham und Enttäuschung eher zurückziehen würden. Hierbei helfen natürlich eine unterstützende und stabilisierende Begleitperson und eine einladende Atmosphäre.“
Ich geb‘ zu: Es kräuselt mir ein wenig den Nacken, wenn ich in dieser Weise als Patient behandelt werde. Den ersten Workshop in „Neurotango“ hab ich noch vor mir, aber einen Tangourlaub unter lauter „Normalos“ hinter mir. Ich gehe auch regelmäßig tanzen. Darüber hab ich in diesem Blog bereits berichtet unter dem Titel: „Äugeleien in der U-Bahn und auf dem Parkett…“ Offenbar zähle ich zu den minder schweren Fällen und hoffe, dass es noch eine Weile so bleibt.
Ich hab mich übrigens gefreut, Arndt Büssing in der neuen „Tangodanza“ auch als Rezensenten wieder zu finden. Er hat über die polnische Gruppe „Cuarteto Re!Tango“ geschrieben.
Zum Schluss noch etwas Politik. Nicht undiplomatisch, aber dennoch deutlich übt Lea Martin Kritik an der Ausrichtung des Vereins „pro Tango“. Sein Ziel, „Lobby-Arbeit für Tango-Profis zu betreiben“, reicht ihr nicht aus. Die Autorin und Tänzerin wirbt stattdesen dafür, dass er anstrebt, die „Kultur des Miteinanders“ zwischen z. B. Berlin und seinen Nachbarländern Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern „nachhaltig“ zu beeinflussen.
Das könne ein Beitrag zu einer politischen Veränderung sein, die über eine „reine Positionierung“ hinausgehe, findet sie. Warum das aus ihrer Sicht nötig ist? Gerade in den ländlichen Regionen fühlten sich viele Menschen vom gesellschaftlichen Leben abgehängt und seien daher für populistische Parolen empfänglich.
Ihr Traum ist es daher seit langem, „mit Tango in die kleinen Städte und aussterbenden Dörfer zu gehen, um dort, wo es an kulturellen Veranstaltungen mangelt, für Tanzvergnügen zu sorgen und nebenbei einen Dialog zwischen Stadt und Land zu unterstützen, der die Sorgen und Nöte derer ernst nmmt, die keine traditionellen Grünen-Wähler sind.“ Was diese ländliche Freizeitförderung mit dem „rebellischen Tango“ zu tun hat, den Lea in ihrem Artikel propagiert, leuchtet mir nicht unmittelbar ein. Interessant finde ich aber ihren historischen Exurs zur Förderung des Tango durch den autoritären Juan Peron ausgerechnet in der „Epoca d‘ oro“ des Tango. Damit möchte ich mich an anderer Stelle ausführlicher auseinandersetzen.
Jetzt reichts erst einmal. Und ich schließe, wie ich begonnen habe – mit einem ziemlich unrebellischen Stück von Osvaldo Fresedo, der die staatlichen Subventionen nicht nötig hatte, weil er vor allem für die Reichen spielte. Diesmal von ihm selbst gespielt, mit einem besondern Gast: dem US-amerikanischen Jazz-Trompeter Dizzy Gillespie: