Meine Bilder (1): Franz Radziwill – Der Zeitungsleser sieht die Welt nicht mehr

Ich habe mir vorgenommen, zwischen meine Texte zu aktuellen Ereignissen regelmäßig Bilder einzustreuen, die mich umgeben. Von den meisten besitze ich nur Reproduktionen, von wenigen die Originale. Selbstverständlich werde ich meine Intentionen bei der Auswahl nicht verschweigen.

Es ist etliche Jahre her, dass ich eine Reproduktion dieses Bildes im „Spiegel“ gesehen (7/1995, S. 19.) habe. Es hat mich auf Anhieb fasziniert. Zwei Männer sind in die Lektüre ihrer Zeitung versunken. Was um sie herum geschieht, scheint sie nicht zu interessieren. Eine Frau dagegen tritt aus einer Haustür und schaut einem Flugzeug nach. Der Himmel ist in bedrohliches Rot getaucht. Da ließe sich viel heraus und hinein interpretieren.

Ich habe das Bild durchaus persönlich genommen. Für mich stellt es ein Stück radikaler Medienkritik dar. Franz Radziwill hat das Bild 1950 gemalt. Damals waren Zeitungen das beherrschende aktuelle Medium außer dem Hörfunk.. Noch waren Zeitungsjournalisten die zentralen „Gatekeeper“, die das Tor bewachten, das zwischen den Menschen und der Wirklichkeit außerhalb ihrer unmittelbaren Umgebung steht.

Regelmäßige Fernseh-Sendungen gab es in beiden Teilen Deutschlands erst von 1952 an. Vom Internet war noch nicht die Rede. Von den „sozialen Medien“ erst recht nicht. Dennoch gab es in den 1950er Jahren einen elitären bis reaktionären Kulturpessimismus. Ihn habe ich auch von meinen Gymnasiallehrern in den 60ern und 70ern mit Blick auf das Fernsehen erlebt, erst recht als es in Farbe daher kam.

Von dieser Einstellung ist Radziwills Bild sicher nicht frei. Dennoch bleibt seine düstere Vision für mich von erschreckender Aktualität.

Anlass des „Spiegel“-Artikels war eine Ausstellung in der Kunsthalle Emden. Gegründet hat sie der Erfinder und langjährige Chef des Magazins „Der Stern“, Henri Nannen. So konnte der leidenschaftliche Sammler seine Kunstwerke in eigenen Räumen in seiner Heimatstadt präsentieren. Das Bild stammt aus dem Fundus des Oldenburger Unternehmers Claus Hüppe, der sein Vermögen vor allem mit Duschvorhängen gemacht hat.

Meine frühere Ehefrau hat die Abbildung professionell reproduzieren lassen und mir vor Jahren zum Geburtstag geschenkt.