Ich hab‘ dieser Tage ein Experiment gemacht: Dass ich Zeitungen zur Probe abonniere, um sie nach der kostenfreien Probefrist wieder abzubestellen, ist an sich nichts Ungewöhnliches. Denn auch als (viel zu selten) sparsamer Rentner bin ich neugierig, was sich so tut in meiner alten Branche. Doch diesmal ging es mir nicht um den „Content“, oder wie wir früher formuliert haben: Um den Inhalt.
Nein, ich wollte einmal wieder wissen, wie das Speichermedium sich anfühlt, das die längste Zeit meiner Berufstätigkeit meine Texte transportiert hat. Also hab ich gegen alle aktuelle Gewohnheit die „Totholz“ (ich mag diese Frechheit der Online-Generation)-Ausgaben einer überregionalen Tages- und einer Wochenzeitung geordert.
Das Ergebnis ist ernüchternd. Gewohnt, selbst ein überdimensioniertes Riesen-Trumm wie „Die Zeit“ mit einer Hand auf dem Smartphone zu „bedienen“, find‘ ich die hergebrachte Art der Lektüre vor allem eins: Umständlich! Auseinanderfalten, Umblättern, glatt Streichen, im Zweifel noch Mal in der Mitte knicken. Dabei Aufpassen, nichts auf dem Tisch vor mir umzuwerfen oder den Nebenmenschen zu touchieren. Undsoweiter…
Nicht zufällig sind die Journale in den traditionellen Wiener Kaffee-Häusern in spezielle Gestelle gespannt, die verhindern, dass die rechte Aufschlagseite herunterschlappt. So ist es möglich, in der einen Hand die Zeitung zu halten und mit der anderen zum Mokka oder zur Melange zu greifen. Aber zum Umblättern bedarf es eben doch wieder der zweiten Hand. Am Ende bleibt in jedem Fall ein Haufen Müll – den allerdings der Gast an der Donau praktischerweise nicht selbst zu entsorgen hat (Aus Schlafzimmer muss ich ihn selbst entfernen).
In einem Versandhaus hab ich in grauem Papierozän einmal ein Edelstahlgestell erworben, das ausgelesenen Zeitungen als Zwischenlager diente. Vorausgesetzt sie waren sorgsam gestapelt, geriet der Abfall auf diese Weise zum Denkmal der Informiertheit seines Besitzers. Meinen jüngsten Umzug hat dieser glänzende Ausweis überholter Aktualitäten allerdings nicht mehr mitgemacht. Mangels Masse. Zum Glück, denn die neue Wohnung ist erheblich kleiner als die alte. Da durfte auch ein großer Teil meiner Bücher nicht mit. Und neue werden nur für den E-Reader angeschafft.
Die probeweise Wieder-zur-Hand-Nahme zweier Zeugnisse des Papier-Zeitalters hat keinen der sachlichen Gründe entkräftet, aus denen ich schon vor Jahren meinen persönlichen Abschied von dieser Ära genommen habe. Nostalgie mag sich nicht einstellen. Die Magie der knisternden und knitternden „Haptik“, die eingefleischte Papierfans preisen – mich hat sie nicht erwischt.
Nein, dieser altmodischen Art der Lektüre wohnt für mich kein Zauber mehr inne. Und wenn ich in diesen Corona-Zeiten im Cafe dennoch wieder einmal ein „Totholz“-Blatt zur Hand nehme, meldet sich hernach umgehend mein persönliches Hygiene-Konzept mit einem unwiderstehlichem (Hände-)Waschzwang.
In alten Zeiten wurde der Nutzen der Zeitung für deren Nichtleser gern ironisch mit ihrer Eignung zum Verpackungsmaterial auf dem Wochenmarkt gepriesen. Ich persönlich schätze bis heute eher eine andere Sekundärfunktion: Als Student habe ich vor Jahrzehnten begonnen, sie zum Streifen freien Fester Putzen zu benutzen. Daher werde ich meinen kleinen Proben-Vorrat in Ehren halten.
PS: Nur an einer Stelle flog mich ein Hauch minimaler Emotion an: Schnell angekleidet zum Briefkasten zu huschen, um die Zeitung heraus zu fischen, ich weiß auch nicht warum, das hat was…
Lieber Thomas, da dein sonst so eifrig bedienter Tangoblog in den Lockdownmodus gezwungen wurde, wie soll man auch über etwas schreiben, das nicht existiert, wundert es mich kein bisschen, dass deine längst nicht eingerostete (imaginäre) Feder regelrecht danach ächzt, wieder über das (imaginäre) Papier zu kratzen.
Erste Ausreißversuche sind dir ja schon in das neuentdeckte Gärtnervergnügen erfolgreich geglückt ( zu deinem tatsächlichen Glück, wie mir scheint). Nun aber hast du zurückgefunden zum Objekt, deines Arbeitslebens, allerdings aus der Sicht des Lesers. Ob mit oder ohne Gestell, zumindest in der Öffentlichkeit hat offen demonstriertes Zeitungslesen zweifellos den Touch des Intellektuellen an sich. Im Bett mit Kaffee daneben mag das Handyklimpern praktisch sein (obwohl fast alle Beträge kaum mehr frei zu lesen sind), aber in einem Wiener Kaffee, beim Melange oder Einspänner, wirkt es unpassend, ja ungehörig (denn wer weiß schon, ob du da wirklich Zeitung liest….)
Also, ich bin sicher, dass dir in deinem Nontangoblog noch viele interessante Gedanken kommen werden, deine Spitze Feder nicht stumpf werden zu lassen. Viel Erfolg dabei und viele interessierte Leser…
Vielen Dank lieber Jürgen, das macht mir Mut!
Thomas, in der Zeitungsfrage (Papier oder digital) widerspreche ich dir vehement – mit oder ohne Melange, im Schlafanzug oder ausgehfertig. Blättern, das Rascheln, das unordentliche Zusammen“falten“, das Weglegen und Ausreißen gehören für mich immer noch dazu. Vom Praktischen garnicht zu reden: Durchnässte Schuhe , Kaminfeuer, Fensterputzen….
Es ist seltsam, bei Büchern habe ich diese „Aversion“ gegen den kleinen oder mittelgroßen Bildschirm nicht (v.a. im Dunkeln sitzend oder in der Sonne liegend). Lese gleichwohl Bücher in neun von zehn Fällen ebenfalls in der klassischen Variante.
Übrigens: den Blog (die Aufmachung und die beiden bisherigen Beiträge) finde ich sehr schön. Trotz fehlendem Totholz. Weitermachen!
Geht mir mit den Zeitungen auch so. Nur im Winter kaufe ich ab und zu eine Papierversion. Vorwiegend wegen eines Nebeneffekts: wir brauchen sie zum Anheizen des Kaminofens. Eine veraltete Technik fußt eben auf der nächsten.
Huch! Wieso kommt das erst heute auf meine Timeline? Aber wer kennt schon Facebooks Algos?
Schlicht eine große Freude, mal wieder auf deiner Schulter zu sitzen und Alltagserleben aus deiner Perspektive zu betrachten, sprachlich schön eingebacken, gut gewürzt und gelassen beschmunzelt. Schön, dich zu lesen.
Und schön, sich schön mal auf mehr zu freuen! Zeit liegt ja gerade mächtig rum!