Es wird Zeit, dass ich wieder zu einem Blick auf eins der Bilder einlade, die mich umgeben. In dies hier hab ich mich vor Jahren verliebt, als ich noch zum werktätigen Teil der Bevölkerung zählte. Es stammt von Hans Baluschek, einem meiner Berliner Lieblingsmaler. Sein Titel: Montag Morgen.
Wie die vier jungen Frauen unlustig bis erschöpft herumhängen – das drückte auch meine Stimmunng aus, wenn ich nach einem eben doch nicht arbeitsfreien Wochenende wieder ins Büro musste. Oder besser noch: Wenn ich es nicht geschafft hatte, nach einem Wochenende voller Tango einen freien Tag zu nehmen oder mir wenigstens einen späteren Arbeitsbeginn zu organisieren.
Baluschek gehörte zu den Malern, die Kaiser Wilhelm II. in einer berüchtigten Rede 1901 als „Rinnsteinkünstler“ bezeichnet hat, weil sie sich darum bemühten, die soziale Realität darzustellen. Viele von ihnen, an der Spitze Käthe Kollwitz, wurden Kommunisten. Baluschek dagegen blieb bis zu seinem Tod 1935 Sozialdemokrat.
Der „Montagmorgen“ zählt nicht zu seinen Hauptwerken. In Monografien wird es selten erwähnt. Ich hab es in einer Ausstellung im Berliner Bröhan-Musum entdeckt. Meine Kopie hat annähernd die Maße des Originals. Wer unsere Wohnung betritt, geht direkt auf das Gemälde zu. Aus meiner Sicht handelt es sich um ein höcht ungewöhnliches Motiv. Denn es zeigt kein soziales Elend oder familäre Vergnügungen aus dem Miieu der Arbeiterklasse. Nein, hier sind eigenständige junge Frauen zu sehen, wie ich sie eher in der Welt der Angestellten der 1920er Jahre erwarten würde, die Siegfried Kracauer so treffend beschrieben hat. Aber das Bild stammt vom 1899.
Welchem Beruf die vier nachgehen? Haben sie sich am Wochenende etwas dazu verdient, auf welche Weise auch immer? Oder haben sie sich schlicht vergnügt – es muss ja nicht beim Tango gewesen sein. Keine Ahnung.Jedenfalls müssen sie zum Wochenbeginn früh raus, obwohl ihnen die Tage und Nächte zuvor sichtlich noch in den Knochen stecken.
Die neueste Forschung hat im Werk des Künstlers versteckte Anspielungen auf Okkultismus und Spiritismus entdeckt, die es zu entschlüsseln gelte. Mag sein. In meinem Lieblingsbild finde ich davon so wenig wie von der „Elendsmalerei“ des übrigen Werkes.
Für mich ist der „Montagmorgen“ Hans Baluscheks modernstes Gemälde.