Lange nicht mehr über Tango geschrieben. Ich hatte mir vorgenommen, die vorige Ausgabe der TANGODANZA lobend zu besprechen. Rund um einen Artikel des Münchener DJ Olli Eyding mit dem Titel „TangoYoung… und andere Initiativen gegen die Überalterung der Tangoszene“ (TD 3/24) hatte sie eine Reihe themenverwandter Texte gruppiert. Prima Schwerpunktbildung für ein zentrales Thema unserer Szene, fand ich. Dass Autor und Redaktion damit einen Sturm der Entrüstung entfachten, damit hatte wohl keiner der Beteiligten gerechnet. An der Spitze stürmte die bekannte Berliner Tango-Autorin Lea Martin. Aber davon später. . .
Meine Aufmerksamkeit wurde erst einmal von einem anderen Thema absorbiert. Auf der Suche nach Lesestoff war ich auf einen Krimi mit dem Titel „Waldeck“ gestoßen. So heißt eine Burgruine im Hunsrück. Dort fand von 1962 an das „Festival Chanson und Folklore international“ statt. Da ging es um Musik und Lieder von Franz Joseph Degenhardt, Hannes Wader und anderen, die mich lange vor dem Tango in ihren Bann geschlagen hatten. Ich versank für eine Weile in dieser Welt. Resultat war ein Artikel mit dem Titel „Auf den Flügeln des (Protest)gesangs“. Bis heute poste ich auf Facebook immer wieder Lieder aus jener Zeit. Fridolin Lützelschwab (Künstlername „El tigre Viejo“) einer meiner Lieblings DJs, legt in seinen Mixed Milongas ab und zu einen Walzer von Franz Joseph Degenhardt auf: „Die jungen Paare auf den Bänken“, seine deutsche Fassung des Chansons „Les amoureux des bancs publics“ von Georges Brassens. Womit wir bei meinem neuen Thema wären.
Für mich stammt der wichtigste Text in der neuen Tangodanza von Stefan Sagrowske: „Klassik, Neo oder Non? oder Die traditionellen Totengräber des Tango“ (TD 4/2024, S. 71f.) „Mich langweilen Milongas, die nur klassische Tangos bieten oder nur Neos wie Otros Aires und Quadro Nuevo. Oder nur Nons mit Rock und Pop, schreibt der Zeitungsredakteur aus Münster. „Ich möchte zu allem tanzen – und habe tatsächlich auch zu klassischen Nicht-Tango-Meisterwerken schon fantastische Tangos getanzt.“ Das versteh ich gut. Meine Liebste und ich können nicht still sitzen, wenn in unserer Lieblingsmilonga, im Tangocafe von Thomas Klahn im Berliner Bebop, „Fever“ ertönt.
Das Thema „Musik“ ist ein Dauerbrenner in unserer Szene. Gerhard Riedl, der „Last man standing“ unter den Tango-Bloggern, schreibt sich seit Jahren die Finger wund mit seiner Forderung nach Verbreiterung des Musik- Angebots und veröffentlicht immer wieder kommentierte „Piazzolla zum Tanzen“. Auch ich habe mich an diesem Thema versucht. In meinem stillgelegten Blog „mYlonga – Beobachtungen und Bemerkungen eines Tango tanzenden Flaneurs“ (kroestango.de) hab ich regelmäßig dogmatische Traditionalisten mit der Forderung nach Piazzolla in unserem Milongas genervt.
Vor etwas mehr als zehn Jahren ging die Sängerin Annette Postel mit einer Wortschöpfung „viral“, wie wir heute sagen würden. In einem „Offenen Brief“ in der TANGODANZA wetterte sie gegen die Dominanz des Klassischen Tango und forderte polemisch „Stoppt die Tango-Taliban!“ Mit ihrem „TT-Wort“ kann man Traditionalisten bis heute auf die Palme bringen. Seit einiger Zeit tritt Postel mit einem Programm auf, zu dem auch die satirische Verballhornung eines Tango-Klassikers von Homero Manzi und Lucio Demare gehört.
Stefan S. berichtet von einem Tango-Urlaub an der Nordsee. Da gab es in einem Meer von Klassik plötzlich zwei Inseln von Non-und Neotango. Zweimal volle Pista. Zweimal Applaus der TänzerInnen. Der Autor stellt klar, er und viele seiner Bekannten wollten „gar keine reine Irgendwas-Milonga. Wir würden uns über einen schönen Mix freuen, 50 Prozent Klassik, 30 Prozent Non und 20 Prozent Neo zum Beispiel“. Auch in Berlin, der angeblichen Tango-Hauptstadt Europas, ist derlei eher selten.
Wir hatten letztens Glück im Raum Göttingen. In zwei Milongas waren die Non/Neos in das Schema Tango/Vals/Milonga integriert. Bei der Aufforderung war der Cabeceo üblich, aber nicht Pflicht, verbales „Magst Du Tanzen“ von Männern wie Frauen kein Problem; ebenso die Integration ortfremder Gäste. Ob die gesellschaftliche Offenheit mit der musikalischen zu tun hatte? Gute Frage! Nächste Frage. . .
Aber so sehr ich Stefans Vorschlägen zustimme, seine Erwartung halte ich für eine Illusion – dass mit der „Verjüngung“ des Musikangebots auch dem Problem beizukommen
wäre, das die TANGODANZA in ihrer vorigen Ausgabe so vorbildlich beleuchtet hat: Die Überalterung der Tango-Gemeinde. Er habe „die 60 längst überschritten“, schreibt Stefan Sagrowske. Ich bin über 70 Jahre alt, der unermüdliche Gerhard Riedl nicht jünger. Sind wir nicht eher Teil des Problems als Teil der Lösung?
Ich weiß in Berlin von zwei Milongas mit deutlich jüngerem Publikum. In der einen gibt’s vor allem moderne Musik bis hin zum Electrotango, in der anderen ist „strictly classic“ angesagt. Bei meinen Besuchen im TANGOLOFT, der nicht nur musikalisch „buntesten“ Milonga der Stadt, hab ich kein signifikant jüngeres Publikum angetroffen. Was sagt uns das?
Er habe vor rund 30 Jahren mit dem Tango begonnen, als 25jähriger Student, berichtet der Münchener DJ und Tangoveranstalter Olli Eyding. (TD 3/24, S.14ff) „Heute kann man uns, die Generation der 50+, 60+ und 70+, in der deutschen Tangoszene nicht mehr ignorieren. Wir Boomer sind der Tango. Überall graues Haar, gereifte Menschen. Von wenigen Ausnahmen abgesehen scheinen die einzigen Jungen die argentinischen Tanzlehrerpaare zu sein.“
Kaum anders ist mein Eindruck, wenn ich mich einmal im Jahr im Sommer beim Tango auf dem Berliner Breitscheidplatz vergnüge, den Judith Preuß mit ihrer Schule „Mala Junta“ organisiert.
Wegen meiner Parkinson-Erkrankung geh ich nicht mehr so oft tanzen wie früher. Aber hier sehe ich Menschen aus allen möglichen Teilen der Berliner Tangoszene – darunter kaum ein Gesicht, das ich nicht aus jenen Zeiten kenne, als ich noch zwei bis drei Mal in der Woche unterwegs war.
Ähnlich ging es mir übrigens, als Lea Martin in einer (Glückwunsch!) überfüllten Veranstaltung eine Auswahl ihrer Tango-Kolumnen vorlas: „Überall graues Haar, gereifte Menschen.“ (Olli Eyding)
Die Autorin sieht das anders: „Eine ‚Überalterung‘ festzustellen und dann auch noch was gegen sie unternehmen zu wollen, ist Ageism (Altersdiskriminierung, Th. K.)vom Feinsten“, schreibt sie in einer E-Mail an die TANNGODANZA. Sie findet es „zynisch, den Tango wie ein Produkt vermarkten zu wollen, dem eine Zielgruppe fehlt“. Nicht „wir Boomer“ seien der Tango. Vielmehr setze er sich „aus vielen einzelnen Menschen zusammen, die ihn lieben, pflegen, weitertragen.“ Der Begriff ´Überalterung` habe „in der Tangoszene nichts verloren.“
Er sei „nicht gerade ein schöner Begriff“ räumt eine weniger bekannte Leserin ein. Aber realistisch gesehen beschreibe er wohl einen Zustand, der „leider tatsächlich der Realität entspricht“, schreibt Ricarda Siebold.
Die Redaktion hebt in ihrem Editorial zur aktuellen Ausgabe hervor, sie habe keineswegs diskriminieren wollen, sondern „realistisch auf den demografischen Wandel hinweisen, der auf unseren Milongas spürbar“ sei: „Die Tangoszene altert sichtbar“ – „möglicherweise an manchen Orten mehr, an anderen weniger spürbar.“ Auf jeden Fall auch bei der Zeitschrift selbst: „Die meisten Abos werden ganz klar aus Altersgründen beendet – weil viele unserer Leserinnen und Leser schlichtweg mit dem Tanzen aufhören (müssen)“. Die verbliebene Leserschaft wird aufgefordert, ihre eigenen „Sichtweisen und Erfahrungen“ mitzuteilen. Denn vielleicht „wissen wir gar nicht genug über diejenigen, die nicht kommen, weil das, was sie auf der Milonga vorfinden, weit entfernt von ihrer Alterskohorte ist.“ Ich bin gespannt auf die Berichte in der nächsten Ausgabe.
PS: Zu meinen liebsten Rubriken in der TANGODANTA zählen die CD-Recensiones und die Hinweise auf argentinische oder deutsche Tangomusiker. Von ihnen lasse ich mich immer wieder gern zum Stöbern auf YT inspirieren – zum Beispiel durch eine Besprechung von Arnd Büssing.
Lieber Thomas, erst einmal danke für Deine Gedanken. – Die jüngeren tanzen ebenso Neo wie Traditionell, nur eben nicht dort, wo die Älteren sind. Insofern hat sich die Szene gespalten. Aber vielen der Jüngeren wollen nur traditionell tanzen, mit all den Formalien und alten Regeln – eben deshalb. Das ist die Suche nach etwas, was es im Alltag nicht gibt. So wie die Neos etwas Neues für sich gesucht haben – somit ganz normal.
Lieber Thomas, dein Text hat mich zu einigen Gedanken angeregt, die ich hier gerne teilen möchte. Ich bin seit über 20 Jahren in der Tango-Community als Tänzerin unterwegs, inzwischen auch seit einigen Jahren als DJ. Wir haben Veranstaltungen organisiert und unterrichtet. Nach wie vor ist der Tango ein heißgeliebter Teil meines Lebens und vielen anderen geht es auch so. Trotzdem ist mir immer bewusst, dass ich mich in einem anderen Kulturkreis bewege. Das erfordert ein hohes Maß an Respekt. Und da überzeugen mich Aussagen wie „Ich möchte zu allem tanzen“ einfach nicht. Ich hab ehrlich gesagt noch nie verstanden wie man einen Tanz einfach aus seiner Entstehungsgeschichte, seinen besonderen „Vibes“ rauslösen und ihn woanders reinpflanzen könnte. Ich tanze ja auch nicht Salsa zu Beethovens Neunter. Damit ich nicht falsch verstanden werde: Es gibt richtig gut tanzbare wunderschöne Non-Tangos, Elektrotangos etc. Aber meiner Meinung nach nicht sehr viele. Die sind eine Bereicherung und ich lege sie auch gerne mal auf (wenn man mich lässt 😉 ) Aber ganz vieles was da gespielt wird tut meinen Tanzohren weh. Das gilt GENAU SO für traditionelle Milongas!
Ich stimme dir voll zu: Moderne „junge“ Musik wird das Nachwuchsproblem nicht lösen. Wir müssen akzeptieren, dass wir in Deutschland nun mal keine breite Tanzkultur (mehr) haben. Unsere eigene Tradition ist in diesem Bereich dürftig und durch die Nazizeit zudem belastet. Daher greifen wir gerne auf bestehende Traditionen zu und klinken uns da mit rein. Warum auch nicht? Auf einer bestimmten Ebene ist Tanzen eine universelle Sprache. Unsere Körper können auf der ganzen Welt im Tanz ohne Worte miteinander kommunizieren. Trotzdem finde ich es nicht stimmig, den Tango oder andere traditionelle Tänze von ihren kulturellen Wurzeln zu kappen.
Ich war am Wochenende auf einer Veranstaltung, vier Milongas in drei Tagen, 100% traditionelle Musik. Ich habe mir nicht eine Sekunde Neo- oder Non-Tango gewünscht. Warum? Weil die Stücke einfach so gut ausgewählt waren dass es nicht langweilig wurde. Im Gegenteil wurden alle von einer Welle traumhaft schöner Melodien und Rhythmen getragen. Deshalb sind gute DJ´s auch das Herz einer Milonga. Wenn die Musik so dahinplätschert oder schrummelt dann wünscht man sich natürlich irgendwann endlich eine Erlösung und Abwechslung.
Noch zum Cabeceo: Ich habe mich lange dagegen gewehrt, fand es affig und altmodisch. Doch inzwischen schätze ich diese Art der Aufforderung mehr als alle anderen. Leider ist es nämlich oft nicht so, wie du es beschreibst mit „Magst du tanzen“? Stattdessen steht – oft genug erlebt – plötzlich ein Herr ganz nah vor dir und streckt wortlos seine Hand aus. Und ist dann beleidigt und/oder pikiert wenn die Dame darauf nicht eingehen möchte. Eine entwürdigende Situation für beide! Ein Cabeceo kann ganz locker über die Bühne gehen und sogar Spaß machen
Wir kann man in einem Land wie Deutschland eine Tanzkultur etablieren, die auch junge Leute wieder zum Tanzen lockt? Ich hab darauf auch keine Antwort. Es wird ja schon bei Kindern nicht genug in Richtung musikalischer Erziehung getan. Wir sind in den 80ern noch geschlossen als Schulklasse in die Tanzschule gegangen, mit allem was dann so da dranhing, Bälle, Tanzveranstaltungen. Das ist irgendwie verlorengegangen. Und wenn meine Tochter, die Anfang 20 ist, jetzt Tango lernen möchte – was sie gerne tun würde – dann ist die Suche nach einem Tanzpartner in ihrem Alter die Suche nach einer Nadel im Heuhaufen. Möchte sie mit einem 60jährigen einen Tangokurs machen? Natürlich nicht.
Ich persönlich fände es ja wichtig dass Menschen ÜBERHAUPT mal anfangen zu tanzen. Muss ja nicht immer Tango sein 😉
Erst einmal vielen Dank für die unerwartet vielen Antworten auf meine „Ungekämmten Gedanken…“ auf FB und in meinem Blog. Der Einfachheit halber antworte ich hier und bitte um Verständnis, dass ich nicht auf jede(n) und jedes Argument eingehe.
Ein Patentrezept zur „Verjüngung“ der Szene sehe ich in nicht. Unter erfahrenen Vieltänzern gibt es sogar die Auffassung: kann es nicht geben. Denn Tango sei nun einmal eine komplizierte Chose. Sie zu erlernen, brauche es viel Zeit und Aufwand, wie nicht nur Jürgen Kühne hervorhebt. Vielleicht ist es ja keine „Über“alterung, sondern Tango ganz normal ein Tanz für nicht mehr ganz junge Menschen. Solange wir genügend neue Interessenten fänden, wäre das kein Problem.
An der Musik scheint es jedenfalls nicht oder wenigstens nicht in erster Linie zu liegen. Interessant fand ich da den Hinweis von Nikita Gerdt, dass junge Menschen die coole Atmosphäre, die sie aus chicen Clubs kennen, auch gern beim Tango hätten. Die legendären Sperrmüllsofas sind zwar weniger geworden in den Milongas, aber verschwunden sind sie nicht. Und was das Outfit angeht, könnten insbesondere einige ältere Herren durchaus noch aufrüsten.
Auf der anderen Seite besticht mich das Argument von Christian Paschen, dass gerade die Fremdheit der Musik und die seltsamen Regeln diesen Tanz so interessant machen – weil sie einen Kontrast zum Alltag bilden. Wichtig am Cabeceo wäre dann nicht, dass er praktisch ist, sondern seine Exotik.
Dass junge Menschen beim Tanzen eher unter sich sein wollen, sollte uns nicht verwundern. (O-Ton von Michael Dettmanns Tochter: „Papi, wie hältst du das mit diesen älteren Damen aus…“)
Etwas gekaut habe ich an dem Beitrag von Dana, der Djane. Du betonst einerseits die Universalität der Sprache des Tanzes. Anderseits magst du nicht den Tango von seinen kulturellen Wurzeln kappen. Wieso „kappen“, warum nicht mischen? Salsa zu klassischer Musik tanzen – klar geht das. Man muss nur die Ehrfurchtbremse lösen.
Am Ende kommen wir doch wieder auf den persönlichen Geschmack. Das Musikstück zum Beispiel mit dem Charlotte & Cedric, das Titelpaar der vorigen TD, „viral“ gingen, fand ich schlicht grauenvoll. Mit solchen Differenzen müssen wir leben.
PS: Seit ich wegen meiner Parkinson-Erkrankung seltener tanzen gehe, mag ich den klassischen Tango viel lieber als früher.
Lieber Thomas, dass ich Salsa nicht zu klassischer Musik tanzen möchte hat nichts mir Ehrfurcht zu tun – ein Wort dass ich in diesem Zusammenhang auch nie benutzen würde. Ich vermisse einfach nichts bei Salsa-Musik, ich finde sie perfekt wenn ich Salsa tanzen möchte. Aber gut, als Experiment könnte ich mal einen Salsaschritt auf ein Violinkonzert von Vivaldi wagen. Warum nicht? Aber das mag Geschmackssache sein. Einen ganzen Abend lang hätte ich allerdings keine Lust darauf.
Liebe Dana,
Du schreibst, dir sei stets bewusst, dass du dich beim Tango „in einem anderen Kulturkreis“ bewegst. Man könne einen Tanz nicht einfach aus seiner Entstehungsgeschichte herauslösen.
Sorry, aber das ist der normale Weg fast aller Tänze: Sie haben Wurzeln, aus denen sich aber auch Weiterentwicklungen ergeben – und wenn sie erfolgreich sind, sehen die an verschiedenen Orten des Globus unterschiedlich aus.
Wer denkt heute bei einem Ball oder Brautwalzer an das Wien der Metternich-Ära und des Wiener Kongresses, an Johann Strauss? Oder welchen Tanzschülern ist bei der Rumba deren Abstammung aus der kubanischen Habanera bewusst (die übrigens auch eine Wurzel des Tango bildet)?
Können sich die meisten von uns in einen „anderen Kulturkreis“ hineinfühlen, dessen Sprache wir nicht sprechen? In Denkweisen und Sitten, die vor fast hundert Jahren am Rio de la Plata herrschten? Und betreiben wir dann nicht „kulturelle Aneignung“ sehr zum Missfallen der woken Szene? Ich finde, es wäre besser, nicht ausgerechnet beim Tango das Weihrauchfass zu schwenken.
Salsa zu Beethovens Neunter? Käme halt auf das Arrangement an…
Was nun der Cabeceo zu den angesprochenen Faktoren wie Altersquerschnitt oder Musikauswahl beiträgt, erschließt sich mir nicht. Aber wahrscheinlich ist er für und gegen alles gut. So viel zur „Tango-Folklore“…
Zum Kernproblem, wie man junge Leute zum Tanzen lockt – so schreibst du selber – hast du auch keine Antwort. Schade! Ich fürchte, beim Tango wissen wir vor allem, was nicht funktioniert. Und dass wir keinesfalls was ändern dürfen.
Du berichtest von deiner Tochter (Anfang Zwanzig), die „natürlich“ keinen Tangokurs mit einem Sechzigjährigen machen möchte. Das beantwortet deine Frage nach dem Niedergang der Tanzkultur: Auch vor hundert Jahren pflegten die Wenigsten den Paartanz, weil er als Solcher so toll war. Er war aber für lange Zeit der einzige Weg, mal für zehn Minuten nahe ans andere Geschlecht zu kommen. Auch die Schultanzkurse waren Kennenlern-Börsen. Heute haben junge Menschen unzählige Möglichkeiten, erotische Bekanntschaften zu machen. Und das meiste, was sie auf dem Milonga-Parkett sehen, ordnen sie nicht diesem Oberbegriff zu.
Für die Älteren dagegen bietet der heute getanzte Tango die Möglichkeit, auch bei Bewegungs-Einschränkungen halbwegs übers Parkett zu kommen. „Senioren-Romanzen“ nicht ausgeschlossen.
Ich finde es ebenfalls wichtig, dass die Menschen überhaupt mal mit dem Tanzen anfangen. Gerade auch junge Leute. Ich finde es gruselig, wie adipöse Sechzehnjährige vor sich hin latschen. Da bin ich wirklich froh, schon deutlich älter zu sein.
Beste Grüße
Gerhard