Wie ich lernte, Hundefutter zu lieben… mit Dank an Wolfram Siebeck

Martin Grothmaak Photography

Das Böse in unseren Küchen hat einen Namen. Es heißt Kutteln.“

Wolfram Siebeck

Ich hatte mit dem Bösen schon Bekanntschaft gemacht, da war mir das Wort „Kutteln“ noch längst nicht geläufig. Bei uns zuhause hießen die hellen, leicht gummi-ähnlichen Fleischfetzen „Flaki“. Wie in der oberschlesischen Heimat meiner weiblichen Vorfahren. Anderswo gibt es sie auch unter dem Namen Pansen oder (etwas altmodisch) Kaldaunen. Dass sie einmal zu meinen Lieblingsgerichten gehören würden, hätte ich mir in meiner Kindheit nicht vorstellen können. Erst recht nicht, dass diese Vorliebe mich mit einem der anspruchsvollsten Feinschmecker Deutschlands verbinden würde: Wolfram Siebeck. Vor fünf Jahren ist der Autor unzähliger Kolumnen und von mehr als 30 Kochbüchern gestorben. Vom letzten Werk zu seinen Lebzeiten erschienenen Werk wird hier die Rede sein.

Was das alles mit Hundefutter zu tun hat? Abwarten…

Gereicht wurden die Kutteln meiner frühen Jahre in der DDR als Suppe. Waren noch Möhren drin oder Lauch? Keine Ahnung. Auf jeden Fall Salzkartoffeln. Das Ganze sollte ja satt machen. Eine Delikatesse? Eher nicht. Gewürzt wurde mit einem kräftigen Schuss Essig-Essenz und einem Esslöffel Zucker. Die Suppe samt der gelockten Einlage mochte ich. Aber die Würz-Zugabe war mir zuwider. Immerhin durfte ich drauf verzichten. Nach unserer Flucht in den Westen war, so weit ich mich erinnere, erst einmal für einige Jahre Pansen-Pause. Aber bis heute habe ich mit säuerlichen und süß-sauren Gerichten meine Probleme.

Mit Kutteln bin ich erst wieder Ende der 1970er Jahre gleich zweifach in Berührung gekommen. Zum einen, wenn wir in Konstanz Freunde aus dem Studium in Marburg besuchten. Zum anderen in Frankreich. Dort war der einschlägige Eintopf nach einer Stadt in der Normandie benannt; „Tripes a la mode de Caen“. In Darm zu Würsten gepresst und scharf angebraten, heißen die Teile Andouillettes“. Beilagen: Pommes Frites und geschmorte Apfelringe. Wie bei uns zur Leber.

In Konstanz gab es Kutteln nach meiner Erinnerung bei jedem Metzger, der auf sich hielt. Sie waren in schmale Streifen geschnitten und wurden vorgegart verkauft, meist schon leicht gesäuert. Das landestypische Gericht: Kutteln in einer Soße aus Trollinger oder Lemberger – weit weg von dem Billig-Essig meiner Kindheit. Aber mir immer noch zu sauer. Da ich die Dinger nun einmal mochte, habe ich in unserer Ferienwohnung mein erstes eigenes Rezept kreiert. Wegen der Zutaten hab‘ ich´s provenzalische Kutteln getauft.

Als Wein für meine Kutteln hab ich Retsina genommen. Weil er billig ist. Und würzig. Zum Fleisch kommt noch eine Knolle Fenchel hinzu. In Streifen geschnitten so groß wie das Fleisch. Außerdem getrocknete Kräuter der Provence und nicht zu vergessen, eine ordentliche Portion Knoblauch. Unser badischer Gastgeber ein bodenständiger Landwirt war begeistert. Das schmeckte ganz anders als die Kutteln seiner Mutter. Ich war auch zufrieden und wollte den Erfolg daheim wiederholen.

Guter Dinge entsann ich mich, dass unser Metzger in Köln aus dem Badischen stammte. Aber leider nicht seine Kundschaft. Kein Bedarf. Meine hoffnungsfrohe Frage wurde daher mit der Antwort beschieden: Da könnte ich Ihnen höchstens was vom Hundefutter geben. So geschah es. Doch das bedeutete Arbeit. Und Gestank. Um ihn zu übertönen, bereitete ich auf einer anderen Kochplatte eine italienische Nudelsoße mit viiiel Knoblauch. Nach einigen weiteren Arbeitsgängen hatte ich essbare Kutteln auf der Arbeitsplatte in meiner Küche.

In Berlin lernte ich dann, dass Pansen er zur anatolischen Volksküche gehört: Iskembe. Ich finde ihn in der Kühltheke jedes türkischen Metzgers, der auf sich hält, nicht weit von meinem geliebten Köfte. Inzwischen hab ich also keine Probleme, Kutteln zu bekommen. Schwieriger bleibt es allerdings, Gesellschaft zum Essen zu finden. Leider ist auch meine Liebste nicht so kuttelig gestimmt wie Barbara Siebeck. Höchstens zur Variante mit scharfer spanischer Chorizo kann ich sie gelegentlich überreden. Da schmecken sie am wenigsten nach Kutteln.

Am Ende seines Lebens ging der Pädagoge mit ihm durch. Von so vielem hatte er die Deutschen überzeugt. Nun blieb nur noch eins, das er zeit Lebens immer wieder genossen hatte: Innereien. Leber, Nieren, Herz, Hirn und eben Kutteln. Doch damit ist er gescheitert. Sein letztes Kochbuch beginnt mit den Worten:

Selten sind ein Autor und sein Verlag so nachdrücklich davor gewarnt worden, ein bestimmtes Buh zu veröffentlichen, wie wir. Das Projekt einer Küche der Innereien schien allen Befragten so brisant und ein folgenreicher Volkszorn unvermeidbar.“

So ist Siebecks Buch nur in einem kleinen Berliner Verlag erschienen, der normalerweise Kunstbücher heraus bringt. Nicht bloß seines Inhalts wegen ist es etwas ganz Besonderes geworden. Denn zur Illustration dienen keine Abbildungen fein gestalteter Gerichte, sondern das Rohmaterial – Fleischteile, die der Verarbeitung harren. Manch zart besaiteten Betrachter dürfte der Anblick nicht weniger gruseln als der Gedanke an Kutteln. Leider ist das Buch vergriffen. Im Internet kosten die letzten Exemplare gebraucht bis zu 180 Euro.

Wolfram Siebeck, Das Kochbuch der verpönten Küche, Edition Braus im Wachter Verlag GmbH, 2008, 200 S.

Edition Braus — Wolfram Siebeck / Projekte / Projekttriangle Design Studio

Meine Bilder (2): Gerhard Richter – Rheinhausen

In dieser Abendstimmung hab ich das Werk nie gesehen. Rheinhausen war für mich ein Tagesjob. Die Manuskripte der Redaktion, in der ich meinen Semesterferien arbeitete, mussten früh fertig sein. Irgendwann am Nachmittag kam der Bote, ein freundlicher älterer Herr, und transportierte das Kuvert per Bus mit den Artikeln nach Duisburg, von wo es mit dem Auto weiter in die Druckerei nach Essen ging. Unvorstellbar in den heutigen Zeiten des Echtzeit-Journalismus. Auch ich stieg nach Redaktionsschluss in einen Linienbus. Er brachte mich in die entgegengesetzte Richtung. Nach Moers, wo ich damals wohnte.

Aber das Grafenschloss der einstigen Kreisstadt hatte nicht das Glück, von einem der berühmtesten Künstler der Welt gemalt zu werden. So steht das heute zu Duisburg gehörende Rheinhausen für die Erinnerung daran, wie ich mir große Teile meines Studiums finanziert habe. Nach einem Bericht des Berliner „Tagesspiel“ hat eine Antiquitäten-Händlerin das Bild für wenig Geld von einem Mann gekauft, den sie schnell wieder vergessen hat. Lang staubte das 0,70 x 1,10 m große Ölgemälde erst über ihrem Esstisch ein, dann in der Diele. Irgendwann entdeckte sie auf der Rückseite eine handgeschriebene Adresse: „Gerd Richter, Hüttenstraße 71, Düsseldorf.“ Sie wurde neugierig, recherchierte und bekam heraus: So kennzeichnete der heute teuerste Maler der Welt Anfang der 60er Jahre seine Bilder.

Die meisten Exemplare seines Jugendwerks hat er 1962 in einer heute legendären Aktion im Hof der Düsseldorfer Kunstakademie verbrannt. Reiner Zufall, dass die Auftragsproduktion für einen Bekannten „überlebte“. Auf Anfrage bestätigte Gerhard Richter seine Urheberschaft. Aber er war nicht bereit, „Rheinhausen“ ins offizielle Verzeichnis seiner Werke aufzunehmen. Die Besitzerin wandte sich dann an das Berliner Auktionshaus Bassenge. Das erhoffte preistreibende Bieterduell zweier Richter-Verrückter kam zwar nicht zustanden. Aber am Ende erzielte das „verstoßene“ Bild immerhin 340 000 Euro. (siehe dazu: Der Tagespiegel 1.12. 2012)

Ob ich das Werk ebenfalls verkauft oder lieber in eine Versicherung für einen „echten Richter“ in meiner Wohnung investiert hätte – ich bin mir nicht sicher.