Ein Tanzleben wird besichtigt (1)

Angefangen hat es in Dresden. Dort hat meine einst Angebetete gelebt und studiert. Daher wusste Evi um die Existenz des „Ballhaus Watzke“. Dort finden bis heute Tanzveranstaltungen statt. Zur Tradition gehören Bälle. Mit Orchester, Gesellschaftskleidung und allem Pipapo. Ob ich denn Lust hätte… Verliebt und experimentierfreudig sagte ich: Selbstverständlich! Tanzschuhe besaß ich nicht. Aber einen Smoking nannte ich mein eigen. Der war nötig für den Besuch des Bundespresseballs. Also meldeten wir uns an für den „Herbstball“ im „Watzke“. 2003 war das.

So saß ich, gestiefelt und gespornt an der Seite der Meinen, unweit der Tanzfläche – und wurde immer kleiner. Mein Mut schien wie weg geblasen. Warum hatte ich mich bloß darauf eingelassen? Nach der ersten Pause der Band wagte ich mich dann doch aufs Parkett. Zögernd erst, aber stetig stellte sich die Erinnerung an die wichtigsten Schritte ein, die ich als braver Gymnasiast in der Tanzschule Helfer zu Moers am Niederrhein gelernt hatte. Mit der Zeit fand ich Spaß an der Sache und irgendwann entfuhr mir der entscheidende Satz: „Eigentlich könnte man mal einen Tanzkurs machen…“ Blieb nur die Frage: Wo?

Klar war zunächst nur, wo nicht. Seinerzeit existierten in Berlin noch zwei konkurrierende Stadt-Magazine. Zur Herbstsaison warben die örtlichen Tanzschulen für ihre Kurse. Die Anzeigen wurden reichlich mit redaktionellen Beiträgen umrahmt. Da gab es unter anderem ein Interview mit Monika Keller. Die großen alte Dame des Standard- und Latein-Tanzes in Berlin beklagte, dass auf dem Parkett immer so viele Fehler gemacht würden. Das war nicht mein Verständnis vom Freizeitspaß.

Zum Glück gab es Alternativen – Tanzschulen, in der Regel aus der Schwulenbewegung entstanden, denn Homosexuelle beiderlei Geschlechts konnten seinerzeit nicht in den „normalen“ Schulen tanzen. Die neuen hießen programmatisch „Walzer links gestrickt“, „Taktlos“ oder eben „Bebop – die andere Tanzschule“. Ich wohnte in der Berliner Obentraut-Straße, nicht weit vom Mehringdamm, wo das „Bebop“ zwei prächtige goldgeschmückte Etagen bespielte. Gelegentlich dienten sie als Filmkulissen. Da fand sogar ein Mord statt. Geführt wurde das Ganze von einem Männerpaar, das sich irgendwann trennte. Aber das ist eine andere Geschichte.

Thomas und Christoph, so hießen die beiden, hatten eine eigene Lehrmethode entwickelt. Sie beschränkte sich nicht auf die Einübung vorgegebener Schrittmuster. Vielmehr waren sie vom Argentinischen Tango beeinflusst und hatte zwei Grundsätze:

Man kann alles auf alles tanzen.

Und: Jeder Schritt muss führbar sein.

Davon profitiere ich bis heute.

Die Chose hatte jedoch einen Nachteil: Anders als in anderen Schulen, die sich auf die zehn Tänze des Welt-Tanzprogramms beschränkten, nahm in unserem Curriculum der Tango Argentino einen großen Raum ein. Unserer Meinung nach: zu groß. Denn etliche Paare, die etwa zur selben Zeit angefangen hatten wie wir, verfügten über ein größeres Figuren-Repertoire in den Ballroom-Tänzen. Also wechselten wir. Die Schule. Die Liebe zum Tango entwickelten wir erst später. Zunächst störte er.

Aber wir waren vom „Bebop“ infiziert. Daher waren wir gewöhnt, im Unterricht die Partner zu wechseln. So hatten wir die Erfahrung gemacht, dass sich ein Knoten, in den man mit dem eigenen Partner/der eigenen Partnerin verstrickt hatte, in anderen Armen leichter zu lösen ist. Also machten wir unserem neuen Tanzlehrer den Vorschlag, zu wechseln. Er schaute skeptisch und sagte: „Ich kann ja mal fragen…“ Er kannte seine SchülerInnen: Die Idee fand bei den anderen Paaren unseres Kurses keinen Beifall.

Na gut, wir haben weiter gemacht. Außer den Kursen Workshops anderswo besucht, unter anderem einen Spezialkurs im „Slowfox“, der als die Krone des Ballroom-Dancing gilt. Vor allem aber sind wir Tanzen gegangen – nicht um uns im Wettbewerb mit anderen Paaren zu messen, sondern zu unserem freien Vergnügen.

Schon früh habe ich damals meine Liebe zur Live-Musik entdeckt. So sind wir kreuz und quer durch den Großraum Berlin und angrenzende brandenburgische Gefilde gekommen. Ohne Auto, meist mit Bus und Bahn, manchmal auch mit dem Schiff. Da gab´s im tiefen Westen im „Labsaal“ von „Alt Lübars“ einen regelmäßigen Tanztee, zu dem eine kleine Band aufspielte, die Rhythmusgruppe des damals angesagten „Damenorchesters Salome“. Aber auch ins „Braustübl“ fuhren wir, im südöstlichen Friedrichshagen. Dort spielte das „Dephi-Tanzorchester“ in verschiedenen Besetzungen um die Sängerin Susann Hülsmann.

Eine der angesagtesten Tanztruppen hieß damals „Jerry Jenkins und his Band of Angels“. Der Sänger gab den Rhythmus auf einer vor den Bauch geschnallten Snaredrum vor. Das waren stimmungsvolle Auftritte unter anderem in der ehemaligen Professoren-Mensa der Humboldt-Universität. Grandios: Die Rock’n Roll Abende im Charlottenburger „Cafe Keese“. Einmal im Monat hotteten ältere Paare zur Musik ihrer Jugend, dass wir als damals Jüngere nur neidisch werden konnten.

Außerdem veranstaltete die Tanzschule „Maxixe“ alle Jahre wieder „Ballhaus-Touren“, die uns nach Dresden, Prag und Wien führten. Diese Reisen verbanden Sightseeing mit Unterricht und abends freiem Tanzen mit einem Ball als Höhepunkt.

Aber wer süchtig nach Tanzen ist, fängt schon morgens an. So sind wir eines Wochenendes beim „Walzerfrühstück“ einer Berliner Tanzschule gelandet. Die Musik kam vom Band. „Spotify“ gab´s noch nicht. Und vor jedem neuen Stück teilte eine sonore Stimme mit, welcher Tanz jeweils dran war. So hielt es auch der DJ, als wir eines nachmittags einen Tanztee der Firma Keller besuchten. Was für ein Kontrast zu unserem „Bebop“, wo wir die meisten Freitag Abende verbrachten. Da konnte es vorkommen, dass Christoph grinsend hinter dem DJ-Pult stand und sich freute, wenn auch seine erfahrensten Paare erst einmal rätselten, welchen Tanz sie zu einem bestimmen Musikstück tanzen sollten.

Die Leidenschaft fürs Tanzen hat auch unsere Leidenschaft für einander überdauert. Als Paar sind wir längst getrennt. Aber wir tanzen immer noch hin und wieder gern mit einander. Als Single habe ich so manchen Sonntag Nachmittag im damals noch nicht renovierten „Clärchens Ballhaus“ verbracht. Dort gingen auch viele Frauen hin, deren Männer es nicht so mit dem Tanzen hatten.

Einen neuen festen Partner, eine neue Partnerin, der/die nicht tanzt, können Evi und ich uns kaum vorstellen – obwohl wir beide glückliche Paare kennen, von denen es nur eine Hälfte auf´s Parkett zieht. Voraussetzung dafür ist allerdings die Abwesenheit von Eifersucht. Doch das ist wieder ein anderes Thema…

Im zweiten Teil dieses Rückblicks auf mein Tanzleben wird es um den Tango gehen.

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